Souveräner Ritter- und
Hospitalorden vom Hl. Johannes zu
Jerusalem von Rhodos und von Malta

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Die Ansprache des Großmeisters an das Diplomatische Corps

Die Ansprache des Großmeisters an das Diplomatische Corps
13/01/2015

Der Großmeister, Fra´ Matthew Festing, hat heute das beim Souveränen Malteserorden akkreditierte Diplomatische Korps zum traditionellen Neujahrsempfang in der Magistralvilla in Rom empfangen.

Es folgt nachstehend die Ansprache des Großmeisters

Herr Doyen, Exzellenzen, meine Damen, meine Herren,

höchst dramatische, gewaltsame Ereignisse prägen den Beginn des neuen Jahres. Der schwerste Terrorakt in Frankreich seit dem Krieg, der in Paris 17 Menschenleben gefordert hat, ist auch ein brutaler Angriff auf unsere Grundwerte, auf Meinungsfreiheit und Toleranz.

In Nigeria, abseits des Fokus der Medien, sollen bei einem verheerenden Angriff von Boko-Haram-Milizen 2.000 Menschen ermordet worden sein. Die islamistische Bewegung zeichnet auch verantwortlich für die Entführung von mehr als 250 Mädchen im Schulalter im vergangenen Jahr.

Der Souveräne Malteserorden verurteilt jegliche Form von Gewalt, sei es körperliche, psychische oder moralische Gewalt, aufs Schärfste und bekräftigt nachdrücklich sein Eintreten gegen jegliche Form von Intoleranz und Gewalt im Namen von Religion.

Herr Doyen, Exzellenzen, meine Damen, meine Herren,

ich freue mich sehr, Sie heute hier zum traditionellen Austausch von guten Wünschen zum Jahresbeginn willkommen zu heißen. Besondere Grüße richte ich an all die Botschafter, die erst kürzlich ihre wertvolle Zusammenarbeit mit uns begonnen haben. Ich bedanke mich sehr herzlich für die guten Wünsche und die erfreuliche Wertschätzung der Arbeit des Malteserordens, die vom Doyen in Ihrem Namen übermittelt wurden. Seien Sie versichert, dass meine Dankbarkeit keineswegs formaler Natur ist: In diesen schwierigen und oftmals dramatischen Zeiten kann der Malteserorden für sein humanitäres Engagement gar nicht genug Unterstützung, Mitwirkung und Ermutigung erfahren.

Die Linderung von Not ist eine schwierige Aufgabe. Uns, den Erben der Hospitaliers, ist dies seit jeher bewusst. Im Moment scheint diese Aufgabe sogar noch schwieriger. Während ich mich heute an Sie wende, sind 50 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung, Armut und Hunger. In Syrien ist ein ganzes Volk auf der Flucht. Die Wiege des Christentums ist von Konfessionskriegen bedroht: Ganze Bevölkerungsgruppen leben in der ständigen Bedrohung durch extremistische Organisationen. Schleuser und Menschenhändler haben Hochkonjunktur. Dass dies in einer Zeit wie dieser geschieht, ist angesichts der tragischen Lektionen aus zwei Weltkriegen, Völkermorden und totalitären Regimen paradox. Unter dem brüchigen Schutz eines angeblich „globalen Friedens“ werden „lokale“ Konflikte mit einer immer größeren Gewalt ausgetragen. Es gelten weder moralische noch althergebrachte Grenzen. Diese Gewalt unterscheidet nicht zwischen Kämpfern in Uniform und wehrlosen Zivilisten. Im Ersten Weltkrieg wurden unzählige Soldaten getötet. In den regionalen Kriegen der Gegenwart sind die Frauen und Kinder die Opfer. Trotz der vor langer Zeit verankerten Grundrechte ist der Beginn des 21. Jahrhunderts gekennzeichnet von negativen Entwicklungen wie neuen, willkürlichen Grausamkeiten. Mit Methoden aus vergangenen Jahrhunderten treffen die modernen Kämpfer in „irregulären Kriegen“ die schwächsten Mitglieder der Weltgesellschaft. Immer öfter wird ihr Hass durch religiösen Fanatismus geschürt, durch ein verzerrtes Ideal, das Verrat an ihrem ursprünglichen Glauben begeht und ihren Verstand und ihr Herz regelrecht betäubt. Unsere Zeit ist auf tragische Weise gezeichnet von einer allmählichen Zersetzung in der Durchsetzung von humanitärem Recht. Die Einhaltung von Rechtsgrundsätzen ist von verschiedenen Seiten unter erheblichen Druck geraten. Auch die Flucht in militärische Vergeltungsschläge, die nicht für weniger Gewalt sorgen, sondern zu noch mehr toten Zivilisten und Kollateralwirkungen führen, sind ein Zeichen dafür. Während die Tragödien ihren Lauf nehmen, werden die entwickelten Gesellschaften weltweit erfasst von etwas, was Papst Franziskus als „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ bezeichnet. Unsere Seelen haben es sich bequem gemacht. Wir sind taub und unempfänglich für die Not unserer Mitmenschen im Nahen Osten oder in Afrika, an den Rändern des Mittelmeeres, ja, sogar in den Außenbezirken unserer Städte.

Auf diese schwierige Situation muss der Malteserorden eine Antwort finden. Treu unserem Motto „Verteidigung des Glaubens und Dienst an den Armen“ müssen wir unserer seit langer Zeit geltenden Herausforderung gerecht werden. Unsere Reaktion ist wie immer eine zweifache: auf der einen Seite äußerste Entschlossenheit, die Würde des Menschen zu verteidigen, und auf der anderen Seite hohe Flexibilität, was die Anpassung an bestehende Umstände anbelangt, um nahe bei den Hilfsbedürftigen sein zu können. Der Orden hat immer seine Identität behalten und ist vor Veränderungen nie zurückgeschreckt. Wie früher sind die Ritter des Ordens auch heute Ärzte und Pflegekräfte, Sozialarbeiter und Mitarbeiter in humanitären Organisationen. Natürlich sind neue Therapien und Instrumente an die Stelle der alten getreten, das Ziel aber ist immer gleich geblieben.

Der Malteserorden bewahrt sich seine spirituelle Vision, die auf eine 1 000 Jahre alte Tradition der Treue zur römischen Kirche zurückgeht. Durch diese Verbindung erreicht unsere auf dem Glauben gegründete humanitäre Einrichtung eine noch größere Wirksamkeit. Der Orden folgt voll und ganz der von Papst Franziskus kürzlich ausgesprochenen Einladung, „sich die Hände schmutzig zu machen“ im Umgang mit unseren Mitmenschen in den vergessenen Gegenden unserer Welt. Im gerade zu Ende gegangenen Jahr haben wir mit dem Heiligen Stuhl und dem Heiligtum von Pompeji eine Vereinbarung über die Einrichtung einer neuen Mensa an diesem besonderen Ort der Marienverehrung geschlossen. Die besonderen Beziehungen, die wir mit dem Stuhl Petri pflegen, wurden mit der Ernennung von Kardinal Raymond Leo Burke zum neuen Cardinalis Patronus erst kürzlich bekräftigt. Ich möchte unseren Cardinalis Patronus noch einmal des Respekts und der Bewunderung versichern, die wir ihm bereits bei Aufnahme des hohen Amts übermittelt haben, und erneut unsere Dankbarkeit für die fünf Jahre verdienstvoller Arbeit seines Vorgängers Kardinal Paolo Sardi zum Ausdruck bringen.

Unsere Eigenständigkeit ist Garant für die Autorität und Autonomie, die wir benötigen, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. Auf der Weltbühne treten wir als eine „humanitäre Einrichtung“ auf, deren Sinn und Zweck darin besteht, den Armen und Ausgegrenzten eine Stimme zu geben, und zwar ohne geheime Tagesordnungen oder politische und wirtschaftliche Interessen. Es ist unsere Tradition der Unparteilichkeit, aufgrund derer unseren Absichten Glaube geschenkt wird. Und durch das Vertrauen, das auf diese Weise entsteht, ist sichergestellt, dass unsere Initiativen vielfach geschätzt werden. Das Netzwerk bilateraler Beziehungen, das Sie und unsere Botschafter in über 100 Ländern gemeinsam pflegen und ausbauen, ist wie immer eine wertvolle Unterstützung, was die Effektivität und die Effizienz unserer Hilfeleistungen anbelangt.

Die Außenpolitik des Malteserordens hat 2014 wichtige Ergebnisse erzielt, beispielsweise die Kooperationsabkommen mit der palästinensischen Regierung, der Tschechischen Republik und der Internationalen Organisation der Frankophonie. Es waren auch diplomatische Beziehungen, denen wir den Ausbau von Gesundheitseinrichtungen, besonders für Mütter und Kinder, in Kamerun sowie die Ausarbeitung von Kooperationsabkommen zur Unterstützung von Gemeindekliniken in El Salvador verdanken. Besonders wichtig ist die fortgesetzte Kooperation zwischen dem Malteserorden und dem italienischen Verteidigungsministerium für das Militärkorps der italienischen Assoziation in den Bereichen Erste Hilfe, Naturkatastrophen und Notsituationen. Diese traditionelle Kooperation nahm ihren Anfang unmittelbar nach der Vereinigung Italiens und wird seit damals immer wieder bekräftigt.

In 120 Ländern auf fünf Kontinenten bewährt sich das „Netzwerk“ des Malteserordens durch die Arbeit unserer 59 Priorate und nationalen Assoziationen, unserer 33 Hilfsdienste, unserer internationalen Hilfsorganisation Malteser International sowie Tausender Mitglieder, medizinischer Kräfte und Freiwilliger.

Alte Menschen, körperlich und geistig Behinderte, Arme, Leprakranke, ausgesetzte Kinder, Alleinerziehende, … sie alle brauchen unsere Hilfe. Unsere Aktionen, die so umfangreich sind, wie das menschliche Leiden unendlich ist, im Einzelnen zu beschreiben, wäre in dieser kurzen Zeit nicht möglich. Lassen Sie mich nur einige wichtige Beispiele erwähnen, allen voran die größte humanitäre Katastrophe der Gegenwart: Die Flucht zahlloser Menschen aus ihrer Heimat stellt uns ohne Zweifel vor die größte Herausforderung, die es zu bewältigen gilt. Die Binnenflüchtlinge im Irak versuchen sich vor dem IS in Sicherheit zu bringen, den terroristischen sogenannten Gotteskriegern, die in zwei Jahren das jahrhundertealte friedliche Zusammenleben verschiedener Kulturen zerstört haben. Im irakischen Teil Kurdistans ist der Orden mit Ausrüstung und Personal in mobilen Kliniken vertreten, die von Malteser International und lokalen Partnern betrieben werden. In der Türkei, die seit 2011 über 1,7 Millionen syrischen Flüchtlingen Zuflucht bietet, unterhält der Orden ein Feldhospital mit medizinischen und psychologischen Fachkräften, das aktiv mit den muslimischen Hilfsorganisationen zusammenarbeitet. Im Libanon, wo heute rund ein Drittel der Bevölkerung aus Flüchtlingen besteht, haben wir unser seit 30 Jahren bestehendes Engagement durch den Aufbau von Hilfszentren und die Entsendung von Fachkräften verstärkt.

Vergessen wir auch nicht die Tausende von verzweifelten Menschen, die ihr Leben in die Hände skrupelloser Schleuser legen und sich in seeuntüchtigen Booten auf „Reisen der Hoffnung“ über das Mittelmeer begeben. Die Zahlen sprechen für sich: 2014 erreichten 130.000 Menschen die italienischen Küsten, darunter 700 % mehr Säuglinge und Kleinkinder als im Vorjahr. Auf der sizilianischen Insel Lampedusa und auf den Schiffen der Küstenwache, die Menschen unter schwierigsten Umständen aus Seenot retten, sind rund um die Uhr Fachkräfte des italienischen Hilfsdienstes des Malteserordens im Einsatz. Den Migranten, die mit der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Europa kommen, sind unsere medizinische und soziale Betreuung und unsere Sprachprogramme in Frankreich, Belgien, Deutschland, Spanien und Italien eine große Hilfe. Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis stehen die Assoziationen des Malteserordens bei ihren Asylanträgen und den zahlreichen Verwaltungsverfahren bei.

Eine sichere Heimat brauchen auch die Tausende von Menschen im Gaza-Streifen, die unter dem Konflikt mit Israel zu leiden haben. Dies ist die Gegend im Nahen Osten, in der unser Krankenhaus zur Heiligen Familie in Bethlehem seit Jahrzehnten die Anlaufstelle für alle Mütter ist. Diese Insel des Friedens in einem geplagten Land baut derzeit seine Aktivitäten und Außenstellenprogrammen aus, um die Frauen in den umliegenden Dörfern betreuen zu können.

Nicht zu vergessen sind die modernen „Geißeln der Menschheit“, allen voran die Ebola-Epidemie, die in Westafrika bislang 8.000 Menschenleben gefordert hat. Im Kampf gegen das Virus schicken wir Medikamente und Ausrüstung nach Liberia – und nach Conakry in Guinea, wo der Ordre de Malte France Kliniken unterhält, Früherkennungsprogramme durchführt und Aufklärung betreibt. Im selben Sinne kämpfen überall in Afrika zahlreiche Fachkräfte unter dem achtspitzigen Kreuz seit Jahren gegen unsichtbare Gegner wie Malaria, Tuberkulose und HIV/AIDS.

Dabei genügt es nicht, nur die Gegenwart zu betrachten. Ist die erste Hilfe geleistet, sind nur allzu oft die Probleme des sozialen und materiellen Wiederaufbaus zu bewältigen. Daher ist es unser Grundsatz, auch dann am Ort eines Notfalleinsatzes zu bleiben, wenn die Weltöffentlichkeit nicht mehr hinschaut. Gefestigt haben wir diese Vorgehensweise in Südostasien nach dem Tsunami 2004. Dort haben wir in den letzten Jahren unsere Wasserreinigungsprogramme, die Schulungsmaßnahmen für die Bauern und unsere Mikrokreditprojekte abgeschlossen. Auf Haiti führen wir genau fünf Jahre nach dem verheerenden Erdbeben unsere Lese- und Schreibkurse, unsere Familienassistance und unsere Seuchenpräventionsprogramme fort. Auf Samar und den anderen Inseln des Archipels der Philippinen, wo vor einem Jahr – kaum beachtet von den Medien – der Taifun Haiyan Leid und Tod brachte, versorgen wir die Menschen nach wie vor mit Medikamenten und Kleidung, helfen beim Wiederaufbau von Gebäuden und entwickeln Initiativen, um Familien zu einem höheren Einkommen zu verhelfen.

Ihre Exzellenzen,

meine kurzen Betrachtungen an dieser Stelle können den Tatsachen in keiner Weise gerecht werden. Ich möchte Ihnen nicht vor Augen führen, was wir tun, sondern wie viel noch zu tun ist. Angesichts zahlloser Menschen, die an den Rand gedrängt wurden und Not leiden, müssen wir uns alle die Frage stellen, wie wir die Weichen für die Zukunft stellen wollen: Im Gefälle zwischen Norden und Süden, zwischen den Ersten und den Letzten, zwischen Wohlergehen und Elend haben wir die Chance, in der Mitte die Zukunft zu gestalten.

In Anbetracht des Ausmaßes der Herausforderungen und der Unzulänglichkeit unserer Instrumente fällt mir Jesu Warnung ein: „Die Ernte ist groß, der Arbeiter aber sind wenige“ (Lukas 10:2). Der Malteserorden bekräftigt an dieser Stelle in fester Überzeugung in Ihrer Gegenwart seine Selbstverpflichtung, seinen Teil zu leisten, sein gesamtes Potenzial zu mobilisieren und dabei besonderes Augenmerk auf die jüngere Generation zu richten, die neues Leben für die Welt und auch für unsere langjährige Arbeit verheißt. Diesen Weg haben wir bereits eingeschlagen, etwa mit Initiativen wie dem Caravan-Projekt für behinderte Menschen im Libanon, bei dem sich jedes Jahr junge Freiwillige aus Europa engagieren. Richtungsweisend sind auch die Entscheidungen von unserem Strategieseminar auf Rhodos, mit denen wir uns die Selbstverpflichtung auferlegt haben, in den nächsten zehn Jahren die Einbeziehung junger Menschen in das Leben des Ordens zu stärken. Ohne Vorbehalte oder persönliche Vorurteile wollen wir „neue Rekruten“ gewinnen, die dann mit ihrer Begeisterung und ihrem Willen, sich voller Großzügigkeit anderen Menschen zu widmen, ein neues Kapitel der Produktivität in der langen Geschichte unseres Ordens schreiben werden.

Genau diese Geschichte ist es, die uns immer wieder vor Augen führt, dass unsere Aktivitäten nicht nur von den weit geöffneten Armen und Herzen unserer Freiwilligen getragen werden. Neben den personellen Ressourcen verfügen wir auch über institutionelle Ressourcen – das gesetzlich verankerte Vorrecht des Ordens –, die wir einsetzen können, um im höheren Interesse der menschlichen Entwicklung immer neue Verbindungen zwischen Regierungen und zwischen Kulturen zu knüpfen. Die jüngst mit dem Südsudan aufgenommenen diplomatischen Beziehungen, derer wir uns sehr glücklich schätzen, zeigen, was aufrichtige Diplomatie bewirken kann, wenn sie sich an die Menschen und nicht gegen sie wendet. In dieser Hinsicht wende ich mich speziell an Sie als erfahrene Diplomaten und unsere privilegierten Gesprächspartner und bitte Sie, uns zu helfen, damit wir in den zerstörten Regionen dieser Welt das wiederholen können, was die uralten Chroniken des Ordens über das von unserem Gründer, dem Seligen Gerard, in Jerusalem gegründete Hospital berichten: „Die Armen werden aufgenommen und gespeist, die Kranken werden behandelt, die Sakramente werden gespendet, die Pilger und die Betrübten werden aufgerichtet, die Analphabeten unterrichtet und die Gefangenen erlöst.“

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen, Ihren Familien und den Völkern, die Sie vertreten, alles Gute für ein geschäftiges Jahr 2015 voller spiritueller Gnade.

Fra’ Matthew Festing